- preziöse Literatur
-
Preziosität, im weiteren Sinn Terminus der Literaturkritik zur Bezeichnung eines dem Manierismus verwandten Stilphänomens, das durch eine oft dunkle und verschlüsselte, gekünstelte und gesuchte, affekt- und effektbetonte, maximale Originalität anstrebende Ausdrucksweise gekennzeichnet ist; im engeren Sinn Bezeichnung für die Literatur, in der die extreme Verfeinerung der Lebens-, Empfindungs- und Ausdrucksformen, die um die Mitte des 17. Jahrhunderts in den meist von adligen Damen (Marquise de Rambouillet, Marquise de Sévigné, Madame de La Fayette, Mademoiselle de Scudéry) begründeten schöngeistigen Pariser Zirkeln zur Herausbildung einer geselligen Salonkultur führte, ihren authentischen Ausdruck fand - analog zu und unter dem Einfluss paralleler Tendenzen in Italien (Marinismus), Spanien (Gongorismus) und England (Euphuismus). Beispiele sind die galante Salonpoesie (I. de Benserade, G. de Balzac) und der heroisch-galante Schäferroman (H. d'Urfé, G. de La Calprenède, Mademoiselle de Scudéry). Während die übersteigerte Affektiertheit mancher Preziösen vielfach zu Spott und Polemik reizte (Molière: »Les précieuses ridicules«, 1659), wurde das emanzipatorische Potenzial der Bewegung lange verkannt. Im preziösen Salon, Refugium des zwischen Absolutismus und Bourgeoisie zerriebenen alten Schwertadels, wurden nach dem Sittenverfall in den Religionskriegen kulturelle Werte wieder belebt, v. a. im Sinne einer Aufwertung alles Weiblichen. Zunächst in kunstvoll ritualisierten Konversationsspielen und kollektiver literarischer Improvisation thematisiert, finden die Themen ihren Niederschlag in Genres wie Charakterporträt, Schlüsselerzählung und -roman, Epigramm, Maxime, Lehrgespräch und Brief. - Gedankengut und sprachliches Verfeinerungsstreben der Preziösen bereiteten die Hochklassik wie die Aufklärung vor; sie initiierten die französische Gesprächskultur und gaben der Moralistik (F. de La Rochefoucauld, J. de La Bruyère) wichtige Impulse.
Universal-Lexikon. 2012.